
Nationalparkzentrum Zernez
Adresse
7530 Zernez
GR
Das Besucherzentrum des Schweizer Nationalparks hebt sich durch seine Form und Materialität deutlich von seiner Umgebung ab. Dennoch fügt es sich durch die gedrungene, kubische Bauweise harmonisch in den Kontext des Ortes ein. Diese Spannung zwischen den historischen Gebäuden und dem modernen Neubau verleiht dem Ensemble eine besondere architektonische Dynamik. Die grossen, bodentiefen Fenster auf allen Seiten des Gebäudes symbolisieren Offenheit gegenüber der Umgebung, dem Dorf und der Landschaft. Valerio Olgiati verfolgt mit diesem Konzept die Idee, eine Ausstellung zu schaffen, die sich nicht von ihrer natürlichen und kulturellen Umgebung abschottet, sondern diese gezielt einbezieht. Architektonisch besticht das Gebäude durch seine Präzision und konzeptionelle Klarheit.
Chronologie
Das neue Besucherzentrum des Schweizer Nationalparks in Zernez, Graubünden, wurde 2002 durch einen Wettbewerb initiiert. Ziel des Wettbewerbs war es, ein modernes Besucherzentrum zu schaffen und gleichzeitig eine funktionale Einheit mit dem historischen Schloss Planta Wildenberg zu bilden. Der Architekt Valerio Olgiati gewann den Wettbewerb. Ursprünglich war geplant, das Besucherzentrum direkt auf dem Areal des barocken Schlossensembles zu errichten. Aufgrund von Einsprachen und Gutachten, die den Standort als nicht vereinbar mit den Zielen des Inventars schützenswerter Ortsbilder der Schweiz einstuften, wurde der Bau jedoch auf die andere Strassenseite verlegt. Im Jahr 2008 wurde das neue Gebäude eingeweiht.
Lage
Das Besucherzentrum des Schweizer Nationalparks befindet sich an der Urtatsch-Strasse, die vom Zentrum Zernez in Richtung Ofenpass und Nationalpark führt. Das Besucherzentrum steht frei, eingerahmt von der Scuola Zernez und dem Familienbad, die hinter dem Gebäude in einem grösseren Bau untergebracht sind. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite befindet sich das historische Schloss, das heute die Verwaltung des Nationalparks beherbergt.
Beschreibung
Das Besucherzentrum des Schweizer Nationalparks präsentiert sich als monolithischer Baukörper aus weissem Leichtbeton. Der Bau besteht aus zwei im Grundriss quadratischen Kuben, die leicht ineinander verschoben sind und durch einen zentralen Kern verbunden werden. Dieser Kern bildet die Symmetrieachse des Gebäudes. Die klare Geometrie wird durch das Fehlen einer sichtbaren Dachabdeckung verstärkt, wodurch das Gebäude wie aus einem Guss wirkt. Die drei Geschosse des Gebäudes sind durch um wenige Zentimeter auskragende Stockwerke in der Fassade ablesbar, was dem Bau eine umlaufende, gesimsartige Gliederung verleiht. Jedes Geschoss ist identisch gestaltet und die einheitlichen Fensteröffnungen, insgesamt 24 pro Kubus, verleihen der Fassade Ruhe und Symmetrie. Die tiefen Nischen der Fenster, die durch die 55 Zentimeter dicken Betonwände entstehen, erinnern an Löcher in den massiven Kuben. Die Fensterrahmen aus Bronze sind von innen angeschlagen und blitzen leicht in den scharfkantigen Öffnungen hervor. Der verwendete Leichtbeton enthält Blähkugeln und Blähglas anstelle von Kies, was zu sichtbaren Lufteinschlüssen an der ansonsten glatten Oberfläche führt. Die glatte Erscheinung resultiert aus der Verwendung von unstrukturierten Schaltafeln, die die fugenlose Optik des Baus unterstreichen. Der Beton sorgt durch seine Zusammensetzung für eine hohe Wärmedämmfähigkeit, wodurch auf zusätzliche Dämmung verzichtet werden konnte. Böden und Decken wurden hingegen in herkömmlichem Beton ausgeführt. Das Gebäude steht auf einem schlanken Sockel, der die Höhenunterschiede des Areals ausgleicht. Der durch die beiden Kuben aufgespannte Vorplatz dient der Erschliessung des Museums und beherbergt auf der Rückseite die skulptural gestaltete Nottreppe aus Ortbeton mit filigranem Geländer aus Bronze. Mit seiner Volumetrie und dem Flachdach kontrastiert das Gebäude stark mit den kleineren Häusern der Umgebung. Heute ist das Besucherzentrum auf zwei Seiten von der Scuola Zernez und dem Familienbad umgeben, was seine ursprünglich völlig freistehende, prominente Wirkung im Ortsbild relativiert. Dennoch bleibt es, neben der Schule, eines der wenigen Betonbauten im Dorf und hebt sich durch seine zeitgenössische Formensprache und Materialität deutlich ab.
Die klare Symmetrieachse des Gebäudes prägt nicht nur die Aussenwirkung, sondern setzt sich auch konsequent im Inneren fort. Diese Symmetrie wird bereits am Eingang durch die perfekt gespiegelte Anordnung der beiden Treppenhäuser verdeutlicht. Die Treppen sind in die Wände integriert und ermöglichen einen durchdachten Rundgang: Eines der Treppenhäuser dient als Aufgang, das andere als Abgang. Dadurch werden die Besucher systematisch durch die Ausstellung geführt, wobei der Rundgang an derselben Treppe endet, an der er begonnen hat. Die sechs nahezu identischen Räume verteilen sich über die drei Geschosse. Die bodentiefen, mittig in den Wandscheiben platzierten Fensteröffnungen verstärken die labyrinthartige Wirkung des Gebäudes, während sie zugleich die Räume mit Tageslicht versorgen. Die minimalistische Materialpalette des Gebäudes, die aussen durch Beton und Bronze dominiert wird, wird im Inneren durch Terrazzoböden ergänzt. Die Logik der Innenraumgestaltung machte es notwendig, die Fluchttreppe und den Lift als funktionale Nebenbauteile an der rückseitigen Fassade des Gebäudes anzufügen. Diese ergänzenden Elemente fügen sich dezent in die Gesamtkomposition ein, ohne die klare architektonische Sprache des Hauptbaukörpers zu beeinträchtigen.
Literatur
- Wieser, Christoph. Ein echter Monolith. Schweizerisches Nationalparkzentrum in Zernez von Valerio Olgiati, in: Werk, Bauen + Wohnen 95 (2008), Heft 11, S. 20–28 (online)
- Schwartz, Joseph. Das Neue Besucherzentrum des Schweizerischen Nationalparks. Zernez 2010 (online)
- Reisch, Daniel. Betonbauten in Graubünden 2019, S. 130–136
- Architektur, in: Schweizerischer Nationalpark (online)
- Nationalparkzentrum in Zernez. Verschmolzene Betonquader, in: BauNetz Wissen (online)
- Nationalparkzentrum Areal Schloss Planta-Wildenberg Zernez, in: Konkurado (online)