Siedlung Tscharnergut
Adresse
3027 Bern
BE
Architektur
Weitere Bauphasen
Die Siedlung Tscharnergut in Bern-Bümpliz war in ihrer Entstehungszeit das grösste Wohnbauprojekt der Schweiz und gilt als Vorzeigebeispiel einer Trabantenstadt der Nachkriegszeit. Prämissen waren eine klare Verkehrstrennung sowie das Schaffen eines stark verdichteten und dennoch lebenswerten Wohnumfelds im Grünen. Die Einbindung in das Quartier brachte dem Tscharnergut eine für den Siedlungstyp ungewöhnlich gute Vernetzung. Fast alle Wohnungen sind nach Grösse geordnet, nur die Hochhäuser kombinieren verschiedene Typen.
Chronologie
1949 erwarb die Stadt Bern in Bümpliz das weitläufige Tscharnergut, um mit einer Siedlung für 5’000 Personen auf die akute Wohnungsnot zu reagieren. 1955 schrieb sie einen städtebaulichen Wettbewerb aus, den die beiden Architekten Hans-Rudolf Lienhard und Ulyss Strasser gewinnen konnten. Die Ausführung erfolgte durch eine Architektengemeinschaft, die aus Hans und Gret Reinhard, Eduard Helfer, Werner Kormann und Ernst Indermühle bestand. 1958 wurde deren Projekt bewilligt und 1961 bis 1966 ausgeführt. 2014 bis 2015 wurde als erstes Gebäude der Siedlung das Scheibenhochhaus an der Waldmannstrasse 25 gesamtsaniert. Aus dem Studienwettbewerb entstand eine Projektpartnerschaft der beiden erstplatzierten Büros Rolf Mühlethaler und Matti Ragaz Hitz Architekten. Die Westfassade wurde um eine drei Meter tiefe Gebäudeschicht ergänzt, die zusätzlichen Wohnraum schafft. Die Ostfassade wurde hingegen im Original erhalten. Nur die beiden anliegenden Treppentürme entstanden von Grund auf neu: Komfortable Liftausgänge auf Wohnebene ersetzten die bestehende Zwischengeschosslösung. Weitere Sanierungen und Ersatzneubauten sind in den kommenden Jahren geplant.
Lage
Die Siedlung Tscharnergut befindet sich in Bern-Bethlehem. Mit ihrer Gemischtbauweise – zwanziggeschossige Hochhäuser und achtgeschossige Scheiben-, Mehrfamilien- und Reihenhäuser – prägt sie den gesamten Stadtteil stark und ist schon von Weitem sichtbar. Die fünf Hochhäuser sind entlang der Waldmannstrasse im Norden der Siedlung platziert. Die mit grossem Abstand voneinander gesetzten Scheiben erstrecken sich in Nord-Süd-Ausrichtung. Im Süden sind die Zwischenräume mit Mehrfamilienhäusern durchsetzt. Intern wird die Siedlung, deren Gebäude in eine Parkanlage eingebettet sind, durch einen Fussweg erschlossen. Der motorisierte Verkehr wird ausserhalb der Siedlung über Stichstrassen zu Parkplätzen und Einstellhallen gelenkt. Das Quartierzentrum verfügt über eine eigene Primarschule, einen Kindergarten, verschiedene Einkaufsmöglichkeiten und ein Tierfreigehege.
Beschreibung
Die als Betonskelette mit vorfabrizierten Fassadenelementen erstellten Hochhäuser erheben sich auf einem leicht zurückversetzten Sockelgeschoss und weisen identisch ausgebildete, mit Bandfenstern versehene Geschosse auf. Die nach Süden ausgerichtete Längsfassade ist ganzseitig mit Loggien akzentuiert. An den Schmalseiten sind sie vorgesetzt und asymmetrisch angeordnet. Die Annexe ragen teilweise nur bis zur halben Gebäudehöhe empor, wodurch das Volumen der Grossbauten aufgelockert wird. Die Nordseite der Gebäude umfasst je zwei Erschliessungskerne. Die einzelnen Geschosse enthalten vier Wohneinheiten: eine Fünfeinhalb-, eine Viereinhalb- und zwei Dreieinhalbzimmerwohnungen.
Die Scheibenhochhäuser sind ebenfalls mit Bandfenstern und Loggien versehen. Die Fassaden sind somit stark linear geprägt. Die Ostseiten der Gebäude umfassen jeweils zwei Erschliessungskerne. Die Aufzüge halten auf Zwischenpodesten und bedienen somit jeweils zwei Geschosse. Die durchwegs identischen Dreieinhalbzimmer-Wohnungen sind mit Laubengängen angebunden. In den drei viergeschossigen Mehrfamilienhäusern sind Vierzimmer-Wohnungen im Zweispännersystem angeordnet.
Literatur
- Schröter, Anne-Catherine; Sollberger, Raphael; Schnell, Dieter; von Allmen, Michael. Siedlungen der Nachkriegszeit in Bümpliz-Bethlehem (Schweizerische Kunstführer Nr. 1025). Bern 2018, S. 32–35
- Domschky, Anke. Stadtlandschaften verdichten: Strategien zur Erneuerung des baukulturellen Erbes der Nachkriegszeit. Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Institut Urban Landscape 2018, S. 130–145
- Mühlethaler, Rolf. Fragile Ordnung. Luzern, Zürich 2017, S. 62–64
- Denkmalpflege der Stadt Bern. Bauinventar 2017: Fellerstrasse 30, 40, 50, 56, Waldmannstrasse 15, 15A, 31, 31A, 45, 45A, 61, 61A, 67A, 75
- Kopf, Elias. Wohnwert und Denkmalschutz unter einem Hut, in: Wohnen 4/2016, S. 16–20
- Heuerding, Erhard. Das Tscharnergut Bern nach 30 Jahren, in: Anthos – Zeitschrift für Landschaftsarchitektur 4/1995, S. 30–32
- Zeller, Christa. Schweizer Archi-tekturführer 1920–1990. Nordwestschweiz, Jura, Mittelland (Bd. 2). Zürich 1992, S. 198–200
- Ryffel, Thomas. Tscharnergut, Bern. Zur Weiterentwicklung der Aussenanlagen einer Grosssiedlung der fünfziger Jahre, in: Anthos – Zeitschrift für Landschaftsarchitektur 1/1987, S. 20–25
- Überbauung Tscharnergut Bern-Bümpliz, in: Wohnen 5/1960, S. 155–158
- H.M. Überbauung Tscharnergut in Bümpliz, in: Schweizerische Bauzeitung 4/1957, S. 56–59
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